von websitebuilder
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27 Apr., 2021
Dornröschen hat bekanntlich 100 Jahre verpennt. Ganz so schlimm ist es bei der deutschen Justiz nicht. Aber immerhin haben viele Gerichte jahrelang die Digitalisierung verschlafen. Es ging ja auch so. Eigentlich hatten wir ja vermutet, dass die Krise die Gerichte ausbremst, aber das Gegenteil ist der Fall. Corona hat mit einem Schlag die Gerichtsbarkeit wachgerüttelt. Der dornige Weg bis zur Digitalisierung ist aber das eigentliche Problem. Falls ihr euch fragt, weshalb es seit einiger Zeit extra lang dauert, bis eure Anliegen vor Gericht kommen: Schuld ist nicht etwa Corona, sondern der Papierstau im Drucker vieler Gerichte. Der Wahnsinn hat einen Namen: Übergangsphase zur E-Akte. Eigentlich sollte die Einführung der elektronischen Akte Gerichte und Anwälte schneller und flexibler machen. Was aber passiert ist Folgendes: Digital eingereichte Schriftsachen müssen an vielen Gerichten ausgedruckt werden, da viele Verfahren noch immer über Papierberge laufen. So geschieht es zum Beispiel auch am Landgericht Stuttgart, das wir jetzt mal als Beispiel nehmen, weil es in unserer Nachbarschaft liegt. Seit es erlaubt ist, dass Anwälte ihre Unterlagen digital an das Landgericht Stuttgart senden dürfen, tun sie das. Denn das spart ihnen einen Haufen Papier- und Portokosten. Als Voraussetzung um künftig mit der E-Akte arbeiten zu können, haben die Anwälte nämlich bereits elektronische Postfächer bekommen. Über diese können sie seit einigen Jahren Unterlagen auch schon vor der Anwendung der E-Akte digital an die Gerichte schicken. In der Poststelle des Landgerichts wurden dann bis Mitte März 2021 die digitalen Unterlagen ausgedruckt und zwar dreifach. Einmal für das Gericht einmal für den Gegner und nochmal für dessen Anwalt um diese dann per Post mit Stempel und Siegel zu verschicken. Ihr könnt euch vorstellen, was das für ein abartiger Aufwand war. Allein im Jahr 2020 wurden allein im Zivilrecht 17 500 neue Klagen in Stuttgart eingereicht. Dass dabei selbst die Hochleistungsdrucker öfter ausgefallen sind, und dass es deshalb zu Verzögerungen kam, haben uns Anwälte, mit denen wir zusammenarbeiten, berichtet. Die Verpflichtung zur E-Akte kommt wie der Prinz auf dem weißen Pferd Der digitale Notstand in Deutschland wird also auch an den Gerichten deutlich. Die E-Akte wurde zwar schon im Jahr 2018 zum Standard erhoben, aber die Umsetzung in den Gerichten dauert jahrelang an. Schon zuvor wurde die Umstellung darauf über Pilotprojekte getestet – das erste startete bereits im Jahr 2016 am Landgericht Mannheim. Jetzt kommt es bei den Landgerichten und Oberlandesgerichten auf die Entscheidungen der Länder an, wann sie die E-Akte verpflichtend an den Gerichten einsetzen wollen – ein ziemliches Wirrwarr, wie ihr euch vorstellen könnt. Am Stuttgarter Landgericht werden erst seit dem 17. März 2021 alle neu eingehenden Verfahren elektronisch geführt. „In der Übergangsphase werden die vor dem 17. März 2021 eingegangen Verfahren bis zum Verfahrensabschluss in Papier fortgeführt. Das Druckvolumen nimmt mit Einführung der E-Akte stetig ab“, erklärt Elena Ghir, Richterin am Landgericht Stuttgart. Massenhafte Verhandlungen gegen Autokönig Daimler bremsen zusätzlich aus Man könnte meinen, das Landgericht Stuttgart könnte dadurch aufatmen, aber im Zivilrechtsbereich wird der Stau nicht so schnell kürzer werden – also in dem Bereich, in dem auch Glücksspielfälle verhandelt werden. Denn hier gehen seit dem Jahr 2018 massenhaft Klagen gegen Daimler im Dieselskandal ein. Diese wurden bislang natürlich auch ausgedruckt. Seit dem 17. März werden aber auch hier neue Verfahren elektronisch geführt. Bisher sei die Dauer am Landgericht Stuttgart bei erstinstanzlichen Verfahren mit 7,4 Monaten dennoch kürzer als im Bundesdurchschnitt gewesen, der bei 10,4 Monaten liegt, so die Richterin. Dass es ohne die ganze Druckerei aber überall noch schneller gehen kann, liegt auf der Hand. Videoverhandlungen waren im Dauerschlaf Auch der Deutsche Richterbund hat sich damit befasst, wie es mit der Digitalisierung der Deutschen Gerichte aussieht und hat eine Umfrage gestartet. Das Resultat: Der Richterbund sieht generell einen großen Investitionsbedarf bei der Digitalisierung der Justiz. Nötig sei das vor allem in ostdeutschen Ländern. Zum Beispiel die Ausstattung für Videoverhandlungen sei dort nicht ausreichend. Die Möglichkeit zu Videoverhandlungen gibt es aber bereits seit Jahren, nur haben sie die Gerichte so gut wie nie genutzt. Erst die Krise hat die Gerichte dazu gezwungen, die offensichtlich ungeliebte neue Technik zu verwenden. Damit habe das Stuttgarter Landgericht im Vergleich aber keine Probleme: „Der Einsatz von Videokonferenztechnik nimmt in den Zivilkammern deutlich zu. Es gibt Kammern am Landgericht, die seit Mai 2020 bis heute bis zu 90 Prozent der mündlichen Verhandlungen als Videokonferenz geführt haben. Welche Verhandlungen letztlich in welchem Format auch während des Lockdowns durchgeführt und welche verschoben werden können, entscheiden die über 170 Richterinnen und Richter des Landgerichts Stuttgart in richterlicher Unabhängigkeit“, sagt Elena Gihr. Vor allem im Zivilrecht hilft es im Lockdown, dass Videoübertragungen einfacher eingesetzt werden können als im Strafrecht. Im Zivilrecht hat nur der Richter eine Anwesenheitspflicht während der Verhandlung im Gerichtssaal, sonst aber niemand. Im Strafprozess besteht nach der Strafprozessordnung grundsätzlich eine Präsenzpflicht. In diesem Bereich wird lediglich bei Anhörungsterminen Videokonferenz-Technik eingesetzt, um persönliche Kontakte durch virtuelle Treffen zu ersetzen – zum Beispiel bei regelmäßig stattfindenden Anhörungsterminen von Strafgefangenen bei der Strafvollstreckungskammer. „Die Anhörungen können, bei Zustimmung der Betroffenen, per Video-Konferenz durchgeführt werden, was nicht zuletzt auch den Transport des jeweiligen Gefangenen von der Justizvollzugsanstalt zum Gerichtsgebäude überflüssig werden lässt, wodurch weitere unnötige Nahkontakte vermieden werden“, erklärt Elena Ghir. Ein Prinz ohne Schwert ist wie ein Richter ohne Dienstrechner In seiner Umfrage hat der Richterbund außerdem herausgefunden, dass es vielerorts an Dienstrechnern mangele. In Brandenburg ist etwa die Hälfte aller Richter und Staatsanwälte mit Geräten für die Arbeit im heimischen Büro ausgestattet, in Rheinland-Pfalz sind es lediglich 30 Prozent. Die Berliner Justizverwaltung gibt für die Zivil- und Strafgerichte eine Laptop-Quote von annähernd 50 Prozent an. Sechs Bundesländer - Baden-Württemberg, Bayern, Bremen, Hamburg, Schleswig-Holstein und Thüringen - erklärten, dass bereits alle Richter und Staatsanwälte über Laptops für die Arbeit aus dem Homeoffice verfügen. Auch in Stuttgart sei das Arbeiten aus dem Homeoffice kein Problem für die Richter, sondern werde rege genutzt, so Gihr. „Richterinnen und Richter sind grundsätzlich frei, ob sie außerhalb des Sitzungsbetriebs vor Ort oder auch im Homeoffice arbeiten möchten. Die dazu erforderliche technische Ausstattung - Laptop und VPN-Systemzugriff von zu Hause aus - steht allen zur Verfügung.“ Was wir euch damit sagen wollen? Uns hilft es nichts, dass Chargeback24 selbst digital auf dem neuesten Stand, völlig flexibel und rasend schnell ist. Wir können eben nur so schnell vorankommen, wie es die deutschen Gerichte zulassen. Die Aussichten sind ja aber jetzt besser, da Videoverhandlungen, E-Akten und generell mehr Digitalisierung ziemlich sicher mehr Schwung in deutsche Gerichte bringen werden. Mit den ersten Urteilen rechnen wir im Juni und hoffen, dass es danach ordentlich rund geht. Manchmal wünschen wir uns aber auch im Dörnröschenschlaf die Zeit zu verpennen, bis wir in einem Land aufwachen, das digital endlich reibungslos funktioniert.